Artikel von Katja Brudermann in der Zeitschrift Tonkunst veröffentlicht
Unter dem Motto „Musik und die Jahreszeiten des Lebens“ trafen sich vom 6.-10. August 2012 sechzig Musikliebhaber aus 9 Ländern Europas und aus Übersee in St. Peter/ Schwarzwald zum 21. Internationalen Musikhörer-Treffen. Veranstalter war die Musicosophia-Schule. Deren Gründer, der rumänische Musikwissenschaftler George Balan, hat mit Musicosophia eine einzigartige Methode des bewussten Hörens entwickelt, die klassische Musik für Musiker und Laien verständlich und erfahrbar macht.
Im Zentrum des Treffens stand eine Vortragsreihe von George Balan. Er ging darin auf große Musiker und Dirigenten in den verschiedenen Phasen ihres Lebens ein. Der Rückblick auf 33 Jahre Musicosophia war für den 83jährigen zugleich ein Abschied aus seiner aktiven Vortragstätigkeit. Im Folgenden eine Reise durch die Jahreszeiten des Lebens in Zitaten aus seinen Reden:
Das sind die zwei Gesichter unseres Frühlings: Das vom Schönen und Großen Träumende und das opferbereit und duldsam Kämpfende.
Es ist ein Märchen, dass nur mit dem Alter die Tiefe kommt. Wenn die Begabung echt und kultiviert ist, kann ein junger Pianist oder Dirigent alle Höhen und Tiefen erreichen, denn zu ihnen findet man nicht durch das Alter Zugang, sondern durch das Talent und das innere Feuer.
Sie hatte aber nicht nur die Leidenschaft des Singens, sondern auch die des Suchens und des Entdeckens. Sie verfügt über ein außergewöhnliches Schöpfertum, in dem die Schönheit denkt und das Denken die Herzen wärmt.
über Cecilia Bartoli, ital. Mezzosopranistin, geb. 1966
Mit seinem Mut, seiner Inspiration und seiner meisterhaften Beherrschung alles Technischen erneuerte er grundsätzlich den Zugang zu der Kunst Bachs.
über Karl Richter, Dirigent & Musiker, 1926-1981
Die herbstliche Zeit meldet sich durch ein Gefühl des Vergänglichen, der grundlegenden Einsamkeit des menschlichen Wesens. Viele Künstler besitzen in einem hohen Grade dieses herbstliche Selbstbewusstsein.
Ein großer Musiker bleibt ein großer Musiker auch wenn seine Finger ihm nicht mehr so treu wie früher dienen. Seine Leistung ist nicht an der Anzahl der falschen Noten zu ermessen, die nur jenes Ohr stören können, das hinter dem Technischen das geistig Schöpferische nicht erkennt.
über Yehudi Menuhin, US-amerikanischer Violinist, 1916-1999, in seinen späten Jahren
Die späten Siebzigerjahre sind die Novemberzeit unseres Lebens. Das ist die Zeit, in der normalerweise der Künstler – aber im Grunde Jedermann – die beruhigende und geistig erhebende Wärme der Innerlichkeit entdecken und erleben sollte. Die Abhängigkeit vom Applaus kann jedoch genauso tyrannisch wie jede andere sein.
Die Liebe zum Leben kann sich in oberflächlichen Genuss verwandeln, wenn der Mensch das Bewusstsein seiner Endlichkeit nicht mit ähnlicher Leidenschaft pflegt. Die edle Art, das Leben zu lieben erkennt man daran, dass sie sich nicht an die Anzahl der Jahre klammert, dass sie immer den Willen des Schicksals bejaht.
Und in seiner Seele verflechten sich die erhabene Ruhe des Übergangs ins Jenseitige mit der immer lebendig bleibenden Liebe zu dieser Erde.
über die letzten Zeilen vom Lied von der Erde (Gustav Mahler, österreichischer Komponist, 1860-1911)
Nach mehr als einem halben Jahrhundert erhebt er sich immer höher zu jener geistigen Sphäre, wo diejenigen ewig leben, die der Musik mit höchster Hingabe gedient haben.
über Arturo Toscanini, italienischer Dirigent, 1867-1957
Was zeichnet einen großen Künstler im Verlauf seiner Lebensjahreszeiten aus? Auf diese Frage gaben die Betrachtungen George Balans sehr persönliche Antworten. Während Cecilia Bartoli, Karl Richter, Yehudi Menuhin und all die anderen großen Musiker die Bühnen der Welt eroberten, hat George Balan in seiner eigenen, stillen Disziplin eine ähnliche Größe erreicht: Die Kunst des Hörens besteht darin, sich selbst bewusst von der Schönheit und tiefen Wahrheit der Musik berühren und verändern zu lassen. Die eigene Seele wird zum Zielpunkt einer liebevoll-schöpferischen Gestaltung und beständig lebendigen Entwicklung. Die Kunst zu Hören wird gleichsam zur Kunst zu leben, die in jeder Lebensjahreszeit, auch in jeder schwierigen Phase die Schönheit des Lebens zu entdecken und auszustrahlen vermag.
Ein Künstler bewegt sich wohl immer zwischen der gewollten, nur um Anerkennung heischenden Schönheit und einer wahren, aus tieferen Quellen schöpfenden. Vielleicht ist das Hören die Kunst, bei der sich diese beiden Pole berühren.
Die Musicosophia-Schule, bereits seit 1998 unter der Leitung von Gebhard von Gültlingen und Hubert Pausinger, vermittelt die Kunst des Hörens nach der von George Balan entwickelten Methode in verschiedenen Kursen und Ausbildungslehrgängen.
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